Archiviert und aus dem Sütterlin „übersetzt“ – oder wie aus alten Briefen ein einzigartiges „Lebensbuch“ entsteht

Ich liebe meine Arbeit als Lebensarchivarin. Ich liebe es, alte private Dokumente zu archivieren, sie aus dem Kurrent und dem Sütterlin zu „übersetzen“ und daraus ein einzigartiges „Lebensbuch“ zu gestalten. Es ist ein spannender, kreativer Prozess und eine große Freude, das fertige Buch in den Händen zu halten und meiner Auftraggeberin oder meinem Auftraggeber zu überreichen.

Meine Freundin hat sich zur Gestaltung eines solchen Buches entschlossen, nachdem ich für sie die alten handgeschriebenen Briefe ihres Großvaters in unsere lateinische Druckschrift übertragen hatte. Heute möchte ich exemplarisch von diesem Buchgestaltungsprozess berichten.

Wer vorab mehr über die genannte Briefsammlung erfahren möchte, lese gerne den Artikel vom März 2025 in meinem Lebensarchivarin-Blog.

Schritt 1 – Briefe archivieren

Im Mittelpunkt des „Lebensbuches“, das ich für meine Freundin gefertigt habe, stehen 30 Briefe, die sie mir zur Übertragung aus dem Kurrent und Sütterlin anvertraut hatte. Bevor ich mit der „Übersetzung“ der in alten deutschen Handschriften verfassten Briefe begann, ordnete ich sie chronologisch nach Datum und erhob deren wichtigsten Daten tabellarisch: von wem, an wen, wann, wo, in welcher Schrift und mit welchem Schreibwerkzeug geschrieben. Zusätzlich erfasste ich Maße, Anzahl der Bögen je Brief sowie deren Erhaltungszustand. Auf diese Weise verschaffte ich mir einen ersten Überblick über die zu „übersetzenden“ Privatarchivalien und machte mich mit ihnen vertraut. Zusätzlich legte ich die Spalte „Anmerkungen“ an, um stilistische oder inhaltliche Besonderheiten eines Briefes zu notieren, die mir während der „Übersetzung“ auffallen würden.

Schritt 2 – Briefe aus dem Kurrent und Sütterlin „übersetzen“

Nachdem ich diese wichtige Vorarbeit abgeschlossen hatte, übertrug ich die handgeschriebenen Briefe aus dem Kurrent und dem Sütterlin Zeile für Zeile, Wort für Wort, Zeichen für Zeichen in unsere lateinische Druckschrift. Die „Übersetzungen“ entsprechen in Wortlaut, Orthografie, Interpunktion, Grammatik und Textaufbau exakt den Originaldokumenten. Sie liegen als digitalisierte PDF-Datei gespeichert vor.

Schritt 3 – Buchsatz gestalten

Vom Inhalt der „übersetzten“ Briefe ihres Großvaters tief berührt, beauftragte mich meine Freundin damit, diese Briefe in einem Buch zusammenzufassen. Der besseren Lesbarkeit halber gestaltete ich in enger Absprache mit ihr den Buchsatz. Wir legten u. a. die Schriftart, die Schriftgröße und den Zeilenabstand fest, definierten Einzüge von Absätzen und Seitenränder und bestimmten Buchformat- und Buchgröße. Dementsprechend formatierte ich den Originaltext und wandelte ihn unter vorsichtiger Anpassung an unsere heute gültige Rechtschreibung und Zeichensetzung in einen einheitlichen Fließtext um.

Da der Großvater meiner Freundin beim Schreiben der Briefe weitestgehend darauf verzichtet hatte, setzte ich Absätze und fügte Abschnitte ein, um Themenwechsel kenntlich zu machen. Schließlich strukturierte ich den überarbeiteten Text in sieben Kapitel, wobei die Briefe eines Jahrganges ein Kapitel bilden. Jedes Kapitel leitete ich mit einem ausgewählten, prägnanten Zitat aus den nachfolgenden Briefen ein.

Schritt 4 – Fotos auswählen und einfügen

Parallel dazu sichtete meine Freundin historische Familienalben, wählte Fotos und Skizzen aus, die sie mir als digitalisierte Datei zur Verfügung stellte. Fotos und Skizzen fügte ich an entsprechender Stelle in den Text ein.

Schritt 5 – Vor- und Nachwort verfassen

Schließlich rundete ich das Buch mit einem Vor- und einem Nachwort ab. Ich erzählte u. a. die „Geschichte hinter den Briefen“, stellte die Briefsammlung als historische Quelle und wertvolles persönliches Zeitzeugnis vor, unterstrich die Bedeutung dieser Privatarchivalie für meine Freundin und spürte nach, was sie motiviert hatte, die Briefe ihres Großvaters von mir „übersetzen“ zu lassen. Den Foto- und Quellennachweis stellte ich in den Anhang des Buches.

Schritt 6 – Buchdruck vorbereiten

Bevor ich ein erstes Probeexemplar ihres Buches bestellte, wählte meine Freundin mit mir die Papierstärke sowie die Bindungsart der Buchseiten aus. Den Buchumschlag gestaltete ich nach ihren Vorstellungen. Nachdem ich das Probeexemplar erhalten und aufmerksam durchgeschaut hatte, nahm ich einige wenige finale Änderungen vor. Inzwischen habe ich die überarbeitete Fassung des Buches für meine Freundin mehrfach in kleinster Auflage bestellt.

Und dann – „Lebensbuch“ verschenken

Meine Freundin hat sich mit dem „Lebensbuch“ nicht nur selbst ein besonderes Geschenk zu Weihnachten gemacht, sondern einige Exemplare im Familien- und Freundeskreis verschenkt. Das Interesse und die Begeisterung am Buch sind nach wie vor groß. Die Schenkerin und die Beschenkten sind durch das „Lebensbuch“ in den Austausch über ein beinahe vergessenes Kapitel ihrer Familiengeschichte gekommen. Sie werden zukünftig gemeinsam auf familiäre Spurensuche gehen, wie mir meine Freundin kürzlich berichtete. Als Lebensarchivarin freue ich mich sehr über diese Rückmeldung.

Haben Sie Interesse, ein eigenes „Lebensbuch“ zu gestalten?

So einzigartig jeder Mensch ist, so einzigartig ist das „Lebensbuch“, das von einem bestimmten Menschen erzählt. Auch wenn sich einige Arbeitsschritte in jedem Projekt ähneln, so ist die Gestaltung eines solchen Buches stets ein einzigartiger, kreativer und lebendiger Prozess. Während ich im engen Austausch mit meiner Auftraggeberin oder meinem Auftraggeber stehe, ergeben sich im Tun neue Ideen, andere verblassen. Ein einzigartiges „Lebensbuch“ entwickelt sich.

Wenn auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich selbst oder Ihren Lieben ein individuelles Geschenk zu einem besonderen Anlass machen möchten, Ihr „Lebensbuch“ in Ihren Händen halten oder weitergeben möchten, sprechen Sie mich gerne an. Ich freue mich, von Ihnen zu hören.

Ihre Kirsten Ulrike Maaß

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