Von der Freude, mich an meine Kindheit zu erinnern

Marmeladekochen gehört für mich zum Sommer wie Weihnachtsplätzchenbacken zum Advent. Letztes Wochenende haben mein Mann und ich Marmelade gekocht. Aus saftig reifen Aprikosen. Jetzt schimmert der köstlich süße Aufstrich goldgelb in hübsch etikettierten Gläsern. Der Inbegriff des Hochsommers. Wenn wir die Marmelade kommenden Winter bei einem ausgedehnten Sonntagsfrühstück genießen, werde ich vermutlich an diesen warmen Sommertag im August 2024 denken: an das Aussuchen der Aprikosen auf dem Markt, das Waschen und Entkernen des Obstes und schließlich das beinahe meditative Rühren der Fruchtmasse, bis sie kocht, während ein wundervoller Duft meiner Nase schmeichelt. Ein Duft, der mich in meine Kindheit zurückversetzt.

Der Duft von frischgekochter Marmelade

Als kleines Mädchen habe ich es geliebt, im Sommer meiner Mutter beim Marmeladekochen zu helfen. Das ganze Haus duftete in dieser Jahreszeit nach frisch zubereiteter Marmelade. Meine Mutter hat damals für unsere sechsköpfige Familie sehr viel Marmelade gekocht. Nein, nicht aus Aprikosen. Die hätte sie kaufen müssen. Das Obst kam frisch geerntet aus unserem großen Garten: Rhabarber, Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren, rote und schwarze Johannisbeeren, Süß- und Sauerkirschen. Auch meine Schwester Sabine hat geholfen. Während sie stets die Kirschen entsteinte, rührte ich gefühlt Stunde um Stunde die Marmelade im Topf. Den hellrosa Schaum, der sich beim Kochen bildete, schöpfte meine Mutter vorsichtig ab und füllte ihn in ein Glasschälchen, das sie beiseite stellte. Den nächsten Morgen durften wir diesen luftig leichten Schaum auf unser Frühstücksbrot streichen. Unvergesslich lecker, unvergesslich gut.

Was für mich als Kind eher ein Spiel und heute als Erwachsene ein Hobby ist, gehörte für meine Mutter zu ihren täglichen Aufgaben als Hausfrau einer großen Familie. Erst heute weiß ich wirklich zu schätzen, was sie für uns geleistet hat. Und dabei ging es nicht nur um das Füllen des Vorratskellers zur Versorgung der Familie durch das Jahr.

Über all diese Gedanken wollte ich mich mit meiner Schwester Sabine austauschen. Also rief ich sie abends an und berichtete. Beinahe unmerklich entwickelte sich das Telefonat zu einem Monolog, den ich führte. Sabine hörte mir aufmerksam zu. Stellte Fragen, fügte hier und dort etwas hinzu. Vor allem gab sie mir Raum, mich zu erinnern. An die Sommer meiner Kindheit, in die ich nach und nach immer tiefer eintauchte. Voller wunderschöner, ja, möglicherweise verklärter Erinnerungen, die mir in diesem Moment einfach nur guttaten.

Ein Buch zum Auftakt in die Sommerferien

Die Sommer meiner Kindheit waren wohlig warm. Manchmal gab es auch heiße Tage. Dann bekamen wir hitzefrei! Mit der Zeugnisübergabe zum Ende des Schuljahres durfte ich mir ein Buch aussuchen. Mit „Wir Kinder aus Büllerbü“ und „Pipi Langstrumpf“ von Astrid Lindgren oder „Fünf Freunden“ und „Hanni und Nanni“ von Enid Blyton läutete ich voller Freude die schulfreie Zeit ein. Schon als Kind habe ich sehr gerne und viel gelesen! Die sechswöchigen Sommerferien kamen mir unendlich lang vor. Einen „richtigen“ Urlaub machten wir selten. Wir besuchten stattdessen die Großeltern, Tanten und Onkels, Cousins und Cousinen an der Ostsee. Auf der vierstündigen Autofahrt von Nordrheinwestfalen nach Schleswig-Holstein sangen wir die Lieder aus der „Mundorgel“ rauf und runter. Zwischendurch naschten wir Bonbons aus der „HARIBO“-Tüte, die es sonst zuhause selten gab. Für das Picknick auf dem Autobahnrastplatz hatte meine Mutter für alle belegte Brötchen, hartgekochte Eier, Obst und Pfefferminztee mit Zitronensaft eingepackt. Etwas Besseres als diese Pausen gab es für mich nicht. Es schmeckte einfach anders. Nach Verreisen. Hatten wir Hamburg hinter uns gelassen, atmete ich auf. Wir waren in „meinem“ geliebten Norden angelangt. Nur noch eine Stunde, und wir hatten unser Ziel an der Ostseeküste erreicht. Eine ganze Woche voller Besuche, Erzählen, Spielen, Ausflüge, Meer und Strand, aber auch die obligatorische „Butterfahrt“ mit einem der kleinen Fischkutter lag vor uns.

Ein Freibad voller Kinder

Wieder zuhause verbrachten meine Freundinnen und ich viele unbeschwerte Stunden im Freibad. Am frühen Vormittag verabschiedeten wir uns von unseren Müttern, die uns erst zum Abendbrot wiedersahen. Wie die meisten Kinder fuhren wir mit unseren Rädern zum Bad. Meine Badesachen und den Proviant transportierte ich stolz in einer durchsichtigen Strandtasche, die beidseitig mit einer großen roten, leuchtenden Erdbeere verziert war. Für mich gab es keine schönere Tasche. Im Freibad roch es nach Chlor und Sonnenmilch. Und es war voll. Egal ob im Schwimmbecken oder auf der Liegewiese. Überall tummelten sich Mädchen und Jungen jeden Alters. Wir schwammen, plantschten, rutschten von der Wasserrutsche, spielten mit dem NIVEA-Wasserball und wollten gar nicht mehr raus aus den Becken. Zwischendurch dann aber doch, um uns in den Pulk voller Kinder einzureihen, der sich vor dem Freibadkiosk gebildet hatte, sobald er gegen Mittag öffnete. Wenn wir es bis vorn an den Tresen geschafft hatten, kauften wir für ein paar Pfennige unseres Taschengeldes „Leckmuscheln“, „Prickel Pit“ und buntes Wassereis, das wir aus schmalen Plastikschläuchen schleckten. Müde und glücklich kam ich von einem wundervollen Tag im Freibad nachhause. Manchmal mit einem kräftigen Sonnenbrand auf meiner Haut, die meine Mutter mit einer kühlenden Creme behutsam einrieb.

Laue Sommernächte, Tanzen im Regen und ein kleiner Winter mitten im Sommer

An Tagen, die besonders warm waren, schliefen meine Geschwister und ich unter federleichten Sommerdecken und bei weit geöffnetem Fenster. Beim Einschlafen lauschte ich den Geräuschen der Nacht, hörte dem Blätterspiel der großen Birke zu, die vor unserem Haus stand, und saugte den Sommernachtsduft tief in meine Nase ein.

Es gibt noch zwei weitere, ganz besondere Gerüche, die ich mit den Sommern meiner Kindheit verbinde. Den nach frisch gemähtem Gras, aber auch den eines erfrischenden Sommerregens. Kündigte sich solch ein Regen an, schlüpften meine Schwester Sabine und ich schnell in unsere Badeanzüge, liefen auf die Straße und genossen die feuchte Abkühlung auf unserer Haut, während wir auf dem warmen Asphalt hüpften und tanzten.

Ach ja, und ich liebte Sommergewitter. Zuhause war es dann auf einmal besonders gemütlich. Meine Mutter zog die Stecker von Lampen und anderen Elektrogeräten aus den Steckdosen, um Schäden durch Blitzeinschlag vorzubeugen. Wenn sich die Wolken am Himmel zusammenzogen und es am helligen Tag besonders dunkel wurde, zündete sie eine Kerze an. Ein kleiner Winter mitten im Sommer. Wir saßen zusammen und lauschten gebannt dem lauten Donner oder standen am Fenster und bewunderten die hellen, wunderschönen Blitze am Himmel. Manchmal las meine Mutter uns Geschwistern während eines Gewitters vor. Besonders gerne hörte ich die Geschichten aus „Tausendundeine Nacht“ oder die Märchen aus „Träumereien an französischen Kaminen“ von Richard von Volkmann. Als ich noch sehr klein war, durfte ich mir während des Gewitters unter unserem Esstisch eine gemütliche Höhle aus vielen Kissen und Decken bauen, in die ich mich verkroch. Hier fühlte ich mich sicher und geborgen.

Glühwürmchen, Schmetterlinge und noch mehr Sommererinnerungen

Je länger und tiefer ich mich an diesem Samstagabend im August 2024 während des Telefonats mit Sabine in die Sommer meiner Kindheit fallen ließ, desto mehr Erinnerungen stiegen auf. Ich dachte an die geheimnisvollen Glühwürmchen in der Dunkelheit der Nacht und die vielen Schmetterlinge, die sich auf dem lilablühenden Fliederbusch in unserem Garten niederließen. Schmetterlinge, die wir fangen wollten, die sich aber nicht fangen ließen. Unsere dafür vorgesehenen Zigarrenkisten blieben leer. Mir fiel ein, wie meine Freundinnen und ich am Feldrand dicke Sträuße bunter Blumen pflückten, die wir unseren Müttern schenkten. Ich dachte an barfußlaufen und buntgemusterte Frotteekleider, die ich so viel lieber anzog als die feinen Sonntagkleider, die ich mit Söckchen und hübschen Sandalen zum Sonntagspaziergang tragen musste. Ich hörte erneut das Klingelläuten des Eiswagens, sobald er in unsere Straße einbog, um sein Kommen anzukündigen. Gefühlt liefen alle Kinder unserer Siedlung zu ihm, um ein oder zwei Kugeln Erdbeer-, Vanille- oder Schokoeis zu kaufen. Ich erinnerte mich, wie gerne ich Johannisbeeren mit Milch und Zucker aß. Aber auch grünen Wackelpudding und rote Grütze. Beides bereitete meine Mutter ausschließlich in den Sommermonaten zu.

„Ahoi-Brause“ oder eine Sommererinnerung über zwei Generationen bewahrt

Auch wenn es mir schwerfällt, möchte ich abschließend nur noch eine Kindheitserinnerung mit Ihnen teilen: Im Sommer, und nur im Sommer, gab es bei uns Zuhause „Ahoi-Brause“. Einfach so durften wir uns ein buntes Tütchen aus dem Küchenschrank nehmen, das Pulver in ein kleines Glas schütten und mit Wasser auffüllen. Fertig war das prickelnde Getränk. Waldmeister und Himbeere mochte ich besonders gerne. Dass wir Geschwister in den Genuss von „Ahoi-Brause“ kamen, war etwas Außergewöhnliches, denn üblicherweise tranken wir zwischendurch ausschließlich Saft aus selbstgekochtem Obstsirup. Orangen- oder Zitronensprudel wurde nie gekauft. Wir konnten bitten und betteln. Meine Mutter blieb streng beim Sirup. Aber bei „Ahoi-Brause“ machte sie eine Ausnahme. Sie selbst hatte diese Brause als Kind kennen und lieben gelernt. Wie für mich versinnbildlichte diese Brause auch für sie Kindheit und unendlich lange, nie enden wollende Sommer, wie sie mir immer mal wieder erzählte. Wie schön, dass sie diese Erinnerung bewahrt und an uns ganz praktisch weitergegeben hat. – Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment. Ich stehe kurz vom Schreibtisch auf, um nachzuschauen, ob ich nicht ein Tütchen „Ahoi-Brause“ in unserem Küchenschrank finde. Noch haben wir Hochsommer…

Von der Bedeutung, im Gespräch zu sein und einander zuzuhören

Liebe Leserin, liebe Leser, es hat mir viel Freude bereitet, meine Kindheitserinnerungen nicht nur mit meiner Schwester Sabine, sondern auch mit Ihnen zu teilen. Wie ich eingangs erwähnte, bin ich mir bewusst, dass ich mit vielen Jahrzehnten Abstand die Begebenheiten und Situationen möglicherweise verklärt dargestellt habe. Mir ist auch klar, dass meine drei älteren Geschwister ihre eigene Sicht auf das Geschehene haben und es jeder und jede für sich anders wahrgenommen hat. Wie gesagt, jeder Mensch ist einzigartig in all seinem Fühlen und Sein. Sehr, sehr gerne würde ich heute mit meiner Mutter über ihre sicherlich nicht immer leichte Situation als Haus- und Ehefrau in den 1960er und 1970er Jahren und explizit in unserer Familie sprechen. Und ebenso mit meinem Vater über die Rolle, die er als alleiniger Ernährer unserer Familie damals innehatte. Leider habe ich diese Chance nicht häufig genug wahrgenommen. Das bedauere ich heute sehr, würde ich doch das ein oder andere besser verstehen. Meine Eltern sind inzwischen verstorben. Viele Fragen sind für mich offengeblieben. Umso mehr weiß ich die Gespräche mit meinen Geschwistern zu schätzen, in denen wir von früher erzählen, uns austauschen und uns gemeinsam erinnern. Es sind Gespräche, in denen wir einander zuhören, Fragen stellen, um neue Facetten unserer Familiengeschichte kennenzulernen, aber auch, um sie aus den Blickwinkeln der anderen Geschwister neu zu betrachten.

Von der Freude, schöne Erinnerungen zu teilen

Auch wenn es im obigen Beitrag vielleicht den Anschein hat: In meiner Kindheit war nicht alles gut. Es lief nicht alles rund. Das will ich nicht verschweigen. Ich will nichts schönreden. Aber es war auch nicht alles schlecht. Vieles lief rund. Vieles war wunderschön. Ich habe stets die Wahl, zu entscheiden, wohin ich meine Aufmerksamkeit lenke. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es guttut, sie auf die schönen Seiten des Lebens zu richten. Etwa auf die Freude. Diesen Beitrag zu schreiben, hat mir Freude bereitet, hat mich erfüllt. Was bleibt, ist dieses wohlige, warme Gefühl, wenn ich mich an die Sommer meiner Kindheit erinnere. Sommer, die ich mit den Gefühlen von Freiheit und purer Lebensfreude in Verbindung bringe. Genau das Gefühl, das ich spürte, als ich letztes Wochenende eine Erinnerungsreise in meine Kindheit unternommen habe. Inspiriert durch den Duft frisch gekochter Aprikosenmarmelade. Was für ein Glück!

Tauchen Sie, liebe Leserin, lieber Leser ein, in Ihre schönsten erinnerten Momente und Geschichten. Gehen Sie auf eine schöne Erinnerungsreise. Alleine, zusammen mit Ihren Lieben oder mit mir als Ihre Reisebegleiterin.

Ihre Kirsten Ulrike Maaß

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