
Erinnerungen teilen
Seit einiger Zeit nehme ich einmal im Monat an einem „Erzählcafé“ teil. Das beliebte „Café“ wird von der „Bücherei Bardowick im Nikolaihof“ veranstaltet. Ich genieße diese kleine Auszeit vom Alltag, in der „Vorbeikommen. Zuhören. Erinnern. Erzählen.“ großgeschrieben wird. Meist sind wir um die 15 Frauen. Jedes „Café“ steht unter einem bestimmten Thema. Die Leiterin des „Cafés“ moderiert einfühlsam und aufmerksam unseren regen Austausch.
Einstimmen
Auf das gestrige „Erzählcafé“ war ich besonders gespannt. Das Thema lautete „Ein besonders schöner Augenblick in meinem Leben“. Schon morgens dachte ich darüber nach. Lange. Und stellte erstaunt fest, dass ich mich lediglich an ein paar wenige besonders schöne Augenblicke in meinem Leben erinnern konnte. Jedoch waren es Augenblicke, die mich tief berührt und mich wie Wegweiser auf meinem Pfad geführt haben.
Die blitzartige Idee, die „Lebensarchivarin“ ins Leben zu rufen, war einer dieser Augenblicke. Noch heute spüre ich das warme, wohlige Gefühl, das mich damals durchströmte, gepaart mit großer Dankbarkeit und der tiefen Gewissheit: „Das ist es!“ Es war dieser eine besonders schöne Augenblick in meinem Leben, der mich heute diese Zeilen als „Lebensarchivarin“ für Sie schreiben lässt.
Nachdenken
Ich dachte weiter über unser „Erzählcafé-Thema“ nach. Mir wurde klar, dass mir das Leben tagtäglich viele schöne Momente schenkt. Die Kunst besteht darin, sich ihrer gewahr zu sein. Denn oft kommen diese Momente vermeintlich unverhofft daher. So übe ich mich darin, mal mehr und mal weniger gut, sie ganz bewusst zu erkennen.
Ich überlegte. Einen dieser schönen Momente hatten mein Mann und ich erst kürzlich erlebt, als wir unterwegs spontan an einer kleinen Feldsteinkirche eine Pause einlegten. Wir trafen die Küsterin, kamen ins Gespräch und sie öffnete uns die sonst verschlossene Kirchentür. Voller Staunen bewunderten wir die wunderschöne Deckenmalerei und tauchten in die Stille des Raumes ein. Wir freuten uns sehr über dieses Erlebnis, das wir zuhause mit unseren Lieben teilten, und das uns lange in guter Erinnerung sein wird. Da bin ich mir ganz sicher.
Derart eingestimmt auf das Thema betrat ich wenig später und voller Spannung darauf, was die anderen Teilnehmerinnen berichten würden, unser Erzählcafé.
Austauschen
Die nächsten eineinhalb Stunden hörten wir einander zu, tauschten uns aus und nahmen einander mit in unsere Erzählungen.
Die von uns geteilten und als besonders schön empfundenen Lebensaugenblicke waren sehr unterschiedlich und fanden zu unterschiedlichen Gelegenheiten statt. Einige waren gerade erst geschehen. Andere lagen Jahrzehnte zurück.
Da gab es die intensiv empfundene Vertrautheit mit den Freundinnen während eines Kurzurlaubs. Das Glücksgefühl über den Mut, alleine als Weltreisende unterwegs zu sein. Aber auch die Freude darüber, dass die Enkelin nach dem gemeinsamen verbrachten Urlaub bereits die nächste Reise zu zweit plant. Oder die erstaunliche Erkenntnis, dass das gemeinsame Schauen eines EM-Spiels in der Familie nicht nur Spaß macht, sondern auch ein tiefes Gefühl der Verbundenheit schafft – obwohl das Interesse am Fußball eher gering ist. Unvergesslich war die erste, beinahe magische Begegnung mit einem bis dahin unbekannten Mann, aus der sich eine große Liebe entwickelte. Und schließlich der einzigartige, unvergleichliche Moment, das erste Mal in die Augen seines gerade geborenen Kindes zu blicken. So erhebend schön, dass es dafür auch heute, viele Jahre später, fast keine Worte gibt. Unbeschreiblich schöne Augenblicke der Einheit empfanden aber auch einige von uns in der Natur: etwa während eines morgendlichen Spaziergangs im Wald oder beim Schwimmen im See, bei einem Sonnenauf- oder Untergang, bei einem Blick in den Himmel und dem Genießen des Wolkenspiels. Andere erinnerten sich an die Stunden, in denen sie immer wieder in ihrem kreativen Tun aufgehen, zum Beispiel beim Handarbeiten oder Gärtnern, und dabei Zeit und Raum vergessen.
Erkennen
Wir haben an diesem Vormittag viel erzählt. Die erinnerten und geteilten Geschichten berührten und bewegten uns. Wir haben aber auch viel miteinander gelacht. Genau wie im richtigen Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Obwohl es gestern vordergründig nicht unser Thema war, sprachen wir auch davon, dass wir alle schmerzliche Momente erlebt haben und durch schwierige Phasen gegangen sind. Auch sie gehören zu uns, haben uns geprägt. Umso wichtiger erschien es uns, die Schönheit des Augenblicks zu erkennen und uns darauf auszurichten. Mögen wir im Alltag noch so beschäftigt sein. Denn diese Momente sind Lichtblicke, die unser Leben schöner und strahlender machen und die es uns manchmal leichter annehmen lassen. Das hatte unser gestriger Austausch deutlich gemacht.
Wir hatten erfahren, dass das Erinnern an die schönen und an die besonders schönen Augenblicke unseres Lebens Freude bereitet und unsere Herzen für einen Moment weiter werden lässt. Darüber hinaus hatten wir erlebt, dass das Teilen dieser Augenblicke nicht nur uns als Erzählenden, sondern auch den Zuhörenden Freude schenkt. Ich kann Sie also nur ermutigen, sich an Ihre besonders schönen Augenblicke zu erinnern und sie, wenn möglich, mit Menschen, denen Sie vertrauen, zu teilen. Vielleicht sogar als Teilnehmerin oder Teilnehmer eines Erzählcafés, das es sicherlich auch in Ihrer Nähe gibt. Wenn Sie mögen, halte ich Ihre Erinnerungen an besonders schönen Lebensmomente für Sie oder Ihre Lieben fest. Sprechen Sie mich gerne an.
Nachklingen
Übrigens: Indem ich diesen Beitrag schreibe, ist mir ein weiterer besonders schöner Augenblick meines Lebens eingefallen. Er liegt schon lange zurück, und doch erinnere ich mich genau daran, wie sehr mich der erste Besuch eines Freilichtmuseums, das Eintauchen in längst vergangene Lebenswelten faszinierte. Als wäre es gestern gewesen, sehe ich mich als Sechsjährige vor dem „Münsterländer Gräftenhof“ des „LWL-Freilichtmuseums Detmold“ stehen und meinen Eltern voller Begeisterung erklären, dass ich, wenn ich groß sei, auch in einem Museum arbeiten wolle. Dieser für mich besondere Moment hat mich geprägt, hat mich Volkskundlerin werden lassen. Der Rest ist Geschichte. Meine Geschichte! Ach ja, als Studentin habe ich als Praktikantin in genau diesem Museum lernen und als Doktorandin im Rahmen eines Werkvertrages arbeiten dürfen! Was für ein Geschenk, das ich heute noch mehr zu schätzen weiß. Danke Leben.
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